Chardonnay mit Aussicht - im doppelten Wortsinn
- Fee Kissel
- 24. Sept. 2020
- 4 Min. Lesezeit
Mein zweiter offizieller Besuch als Weinprinzessin. Für mich ging es zu Familie Becker. Ich war schon nicht mehr soo aufgeregt wie vor meinem ersten Besuch bei Pfleger. Zur Vorbereitung hatte ich mir spezifische Fragen überlegt, mit denen ich mehr über die Einstellungen, Praktiken und Philosophien der Familie herausfinden wollte.

Becker ist ein sehr junger Weinbetrieb. Seit drei Generationen ist die Familie nun erst im Weingewerbe tätig. „Schon länger hatten wir die Wirtschaft, aber erst mein Opa hat 1972 damit angefangen Wein selbst anzubauen.“, erzählte mir Ralf Becker. Erst wurde der Wein nur in Fässern verkauft, 1984 aber dann schon in Flaschen und 1990 übernahm Ralf den Betrieb. Mit nur 4,4 ha Weingarten ist das Beckersche Gut zwar relativ klein, aber dafür umso experimentierfreudiger.
Und die Risikobereitschaft zahlt sich aus. Während Ralfs Lehrer, der ehemalige Leiter und Kellermeister der Weinbauschule, damals noch erzählte: „Chardonnay wird man bei uns niemals richtig ernten können“, wird selbige Rebsorte heute erfolgreich in Herxheim angebaut. Stolz wird mir der Chardonnay Weingarten präsentiert. Die Reben sind in der Beerenzone vollkommen entblättert und goldgelbe Trauben lachen den Spaziergängern verlockend entgegen. „Der Chardonnay hat jetzt, Anfang September, schon 80° Oechsle und ist fast bereit für die Lese!“ berichtet mir Ralf stolz.

„Der Weinbau hat sich geändert.“, ist sich Ralf sicher. Ja, die Winzer spüren den Klimawandel. Noch vor 20-30 Jahren hat die Ernte bis in den November angedauert. Heute erntet man im warmen und trockenen. Ein Wandel im Klima beinhaltet auch einen Wandel im Anbau. Trendsorten wie Merlot, Sauvignon Blanc und Chardonnay können angebaut werden, während es ursprünglich heimischen Arten, wie vor allem dem Riesling, langsam etwas zu heiß wird. Ob das schlecht oder gut ist, darüber lässt sich streiten. Aber eine generelle Änderung zeichnet sich klar ab.
Das Weingut Becker arbeitet sehr naturnah. „Wenn man mit der Natur arbeitet, muss man auf die Natur eingehen. Man muss mit ihr interagieren und mit ihr zusammen arbeiten“, weiß der Kellermeister Ralf. Der Winzer versucht die Trauben möglichst schonend zu bearbeiten. Insektizide werden generell in Herxheim nicht mehr eingesetzt, man verlässt sich auf Pheromone mit Sexuallockstoffen. Beckers lehnen den Einsatz von Schönungsmitteln wie Gelatine oder Betonit ab. Die Schönungsmittel verhindern die Trübung des Weines. Eiweiße und Gerbstoff fallen nicht aus und es entstehen keine Ablagerungen. Auf Nachfrage, warum Beckers auf den Einsatz der Mittel verzichten, gibt es eine einfache Antwort: „Ein einziges Mal hab ich es jetzt erlebt, dass Ablagerungen im Wein zu finden waren. Ich bin kein Fan davon etwas präventiv zu machen, nur weil es eventuell passieren könnte. Ich liebe das Risiko!“. Und bisher hat ja auch alles bestens geklappt! Toi toi toi!

Zwar sind Insektizide im Weinbau ungern gesehen, jedoch werden Herbizide, sprich Stoffe zur Verhinderung von Pilzinfektionen eingesetzt. Da der Trend generell in Richtung „biologischer Weinbau“ geht, will Ralf Zeichen setzten. „Wein hat viel mit Tradition zu tun und selten kommen ganz neue Sorten auf den Markt. Jetzt aber hat man es geschafft Pilzresistente Sorten zu züchten, sogenannte Piwis (pilzwiderstandsfähige Rebsorten) und genau die werden seit Neustem bei uns angebaut!“, werde ich aufgeklärt. Zu diesen Newcomern gehören zum Beispiel Cabernet Blanc, Muscaris, Sauvignon Noir und Seyval blanc. Die Sorten sind noch neu im Kommen, aber Becker will es wagen. „Neues ausprobieren und für die Kunden anbieten“, lacht er.
Angefangen hat es in der Familie Becker aber nicht mit dem Wein, sondern mit der „Woistub“. Hier wird regionales und saisonales Essen zubereitet und bei nettem Ambiente genossen. Es gibt Pfälzer Hausmannskost wie „Saumagen, Lewwerknäpp und Grumbeere“ (für alle „Nicht-Pfälzer“ unter euch, das ist einmal Bratwursfleisch mit Gemüse, Kartoffeln und teils Kastanien, Leberknödel und Kartoffeln -Zubereitungen aller Art), aber je nach Jahreszeit auch Spargel, Pfifferlinge oder Gans. Die Kundschaft ist bunt gemischt aus Ansässigen und Touristen. Die meisten Gäste kommen aus der Region von Kaiserslautern bis Mannheim, aber teilweise gibt es sogar Besucher aus ferneren Ländern. „Erst letztens hatten wir einen Kunden, der aus Schweden in die Pfalz gekommen ist!“. Die Pfalz ist aber auch einen Besuch wert, soviel steht fest! Über das Jahr verteilt finden mehrere Events in der Woistub statt. So gibt es „Schlachtfeste“ und besondere Tage für den Verkauf von „Wilschwein, Sauerbraten, Rinderbäckchen, Fischgerichten oder Hirschbraten“. Momentan im Angebot: Neuer Wein mit Zwiebelkuchen! Wenn das nicht einen Besuch an der Weinstraße wert ist?
Ganz neu ist seit zwei Jahren auch die Vinothek am Naturschutzgebiet Felsenberg. Sie bietet bei fantastischem Ausblick und fern ab von Verkehr und Straße allen naturverbundenen Weinliebhabern eine perfekte Auszeit. Zwar ist die Vinothek momentan aufgrund von Corona noch geschlossen, aber nächstes Jahr soll sie wieder geöffnet werden. Dort erwarten wird euch - neben dem Blick über die gesamte Rheinebene, einem guten Glas Wein und einer netten Bedienung - ein Garten mit Teich, eine Pergola und bald dann auch noch ein Wintergarten.

Familie Becker ist ein sehr offener, aufgeschlossener Betrieb, der gerne Neues austestet und flexibel im Einklang mit der Natur interagiert. Ralf ist sehr kooperativ und hat mir direkt Unterlagen über neue Erkenntnisse über den modernen Weinbau zukommen lassen, nachdem er mein Interesse erkannte. Besonders gefällt ihm am Weinbau, wenn er das Produkt der Jahresarbeit in Form der Weinflasche in der Hand hält und sie den lächelnden Kunden übergeben kann. Tja, als Winzer verkauft man Freude in Flaschengröße!

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