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Weinprinzessin auf hohem Ross

  • Autorenbild: Fee Kissel
    Fee Kissel
  • 15. Okt. 2020
  • 6 Min. Lesezeit

Heute ging es für mich hoch hinaus! Gemeinsam mit unserer Power-Jungwinzerin Tanja Huber durfte ich im Lese-Endspurt nochmal mit in den Wingert. Auf der Programmliste standen Silvaner und Riesling. Gelesen wurde mit.... naaa, was ist das hohe Ross einer Weinprinzessin...? Jemand irgendwelche Ideen?

Falls ja, noch nicht gleich verraten! Lassen wir denen, die noch etwas brauchen, auch eine Chance. Als Hinweis gibts ein Rätsel:


Bis zum Herbst steht das Ross im Stall.

Kurz vor seinem großen Auftritt wird es herausgeputzt bis es da steht wie eine Eins.

Am liebsten prescht es durch die Weinberge.

Im wahrsten Sinne kann es „Saufen wie ein Pferd“! Ca. 300 l auf einmal!


Geritten wird es von mutigen Winzerinnen und Winzern.

Es hat einen stattlichen Preis von 300.000 €.


Unermüdlich ackert es für einen ganzen Monat.

Danach darf es sich ausruhen bis zum nächsten Jahr.


Fellfarbe ist variabel. Hier heimisch sind blaue, gelbe und rote Rassen, mit den Namen Braud, Grégoire und Ero.

(An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass nur weil ich Ero gefahren bin es sich nicht um Schleichwerbung dafür handeln soll. Jede Marke hat persönliche Vor- und Nachteile, die maßgeblich von den eigenen Vorlieben abhängig sind! Es ist eben wie mit den Weinen... Die sind auch individuell zu bewerten!)

Es ist der Vollernter!


Also an alle Fahrer*innen da draußen:


- wenn ihr gerne fancy Fortbewegungsmittel mit ner Menge PS und noch mehr Sonderfunktionen fahrt;

  • wenn ihr nach was exklusivem und ausgefallenen sucht, das bei definitiv jedermann Eindruck schindet;

  • wenn ihr gerne weit über allen thront, um die bestmögliche Aussicht zu genießen;

  • wenn ihr gerne viele Sondergenehmigungen für eure Vorteile nutzt und euch Rechte herausnehmen möchtet, die man sonst normalerweise nicht ganz legal erwerben kann;

  • wenn ihr es liebt, wenn andere Leute mit großen Augen und offenem Mund vor eurem Baby stehen und sich nicht mehr so schnell wieder einbekommen;

  • wenn ihr findet, dass „Cabriolet“ von gestern und „fenestra area“ die Zukunft ist;

  • wenn ihr zufällig 300.000€ in petto habt,


... dann ist ein Vollernter genau das, was euch noch zu eurem Glück gefehlt hat!


Wie sollte ein popeliger Porsche Cayman mit 300 PS, einer Länge von 4,341m, einer Breite von 1,801m, einem Gewicht von 1.455 kg, einem Tankinhalt von 54 l und einem Preis von 66.707,60€ mit einer Maschine wie der Ero 7200 XV mithalten können. Mit 204 PS, 2.200 l Tank zum Befüllen süßer Weintrauben (gerade in Zeiten wie Corona ist Hamstern vielleicht nicht das Dümmste…), 3 m^2 großer Komfortkabine für dich und deine*n Liebste*n mit All-round-Aussicht auf einer Sitzhöhe von 3,82 m, mehreren 12-V-Steckdosen und integrierter Kühlbox (der Champagner ist also in Trinktemperatur immer in greifbarer Nähe), 90 Grad Lenkeinschlag für kleine Wenderadien um James Bond-reife Stunts hinzulegen, 340 l Dieseltank für weite Strecken, 9.500 kg Leergewicht und 4,50 m Gesamtlänge ist die Ero im Vergleich zum Porsche doch mit nur 300.000€ ein unschlagbares Angebot! Für noch mehr Spaß zum Cruisen empfehle ich, die Erlaubnis auf Feldwegen und durch Rebzeilen zu fahren, voll auszukosten. Der Verkehr ist dort, abgesehen vom Herbst, sehr entspannt, die Natur zum Greifen nahe und das Ambiente gratis inklusive!


Schon immer hätte ich Trecker vor jedem Sportwagen gewählt und spätestens als mein Vater unseren lindgrünen VW Bus mit drehbaren Sitzen und ausklappbarem Tisch im Innenraum gegen einen schicken Audi ausgetauscht hat, sind unbequeme, unpraktikable Autos ohne Charakter und Charme mit fiesen Fratzen (…bin ich die einzige, die in Schnauze, Fenstern und Lichtern der Autos mehr oder weniger sympathische Gesichter erkennt?) bei mir komplett unten durch! Aber vielleicht hat nun auch mein Vergleich die*den ein*e oder andere*n von euch davon überzeugen können!


Wenn mir jetzt jemand was von Geschwindigkeitskicks erzählen will und meint, mit max 40 km/h wäre die Ero nicht ganz das, wonach er suche, der soll damit nur mal eine Böschung von einer 40 Grad Neigung hinunter fahren! Ich bin normalerweise keine Schisserin was Fahrgeräte angeht und ich liebe Adrenalinschübe, aber bei schon 12 Grad war mir mulmig zu mute!


Bei einer Fahrt mit Vollernter wird man geruckelt und geschunkelt und der Motor dröhnt. Dazu kommen die Gebläse und das Fahren mittig über den Rebstöcken. Allein das Klettern in die ca. 4m hohe Fahrerkabine ist ein Erlebnis anderer Art. Ich jedenfalls bin frisch verliebt in die großen Erntehelfer! Aber sie sehen ja auch nur zu süß aus, wie sie einen so von oben herab treu ansehen!


Aber was macht so ein Monstrum eigentlich, außer uns im September/Oktober während der Weinlese regelmäßig den Schlaf ab 05:00 Uhr zu rauben und uns den Speed auf den Straßen zu nehmen, weil wir schwache 20 km fahren müssen, wenn Überholen gerade nicht möglich ist?


Im Grunde genommen macht ein Vollernter das, wozu man normalerweise 200 h Men and Women Power benötigen würde. Er fährt durch die Reben und liest die Beeren von den Rappen. Kurz zu den Begrifflichkeiten: Trauben sind die Henkel, gegessen werden die Beeren und übrig bleibt die Doppelrispe, die Rappe. Um das möglichst effizient umsetzen zu können, ist ein Vollernter in der Mitte offen. Das eine Vorder- und Hinterrad befindet sich rechts der Rebzeile, das andere links davon. Die Rebzeile selbst befindet sich dann in der gabelförmigen Rüttelmaschine. Mehrere Schläger schlagen in regelmäßigen schnellen Vibrationsbewegungen gegeneinander und versetzen für kurze Zeit die ganze Zeile in Schwingung. Dabei lösen sich die Beeren von den Rappen und fallen herab. Unter den Rüttlern befinden sich Auffangrinnen, die die herabfallenden Beeren einfangen. Zwei Förderbänder transportieren diese nach oben in den Sammeltank. Während der Fahrt nach oben sorgen 3-4 Gebläse dafür, dass die mit abgerüttelten Blätter und Rappen direkt herausgeblasen werden. Da beides leichter ist, als die schweren, saftig reifen Beeren, bleiben selbige im Vollernter. Wenn dann noch Beeren an den Rappen hängen sollten, führt das Förderband noch in einen Entrapper. Dort werden 70% der noch nicht gelösten Beeren vom Stiel abgetrennt. Nach 2-4 Rebzeilen ist der Traubentank rappelvoll und muss in bereitstehende Anhänger ausgekippt werden! Hubers sind ein Teil der Herxheimer Winzergenossenschaft. Mit 35 ha haben sie eine sehr große Rebfläche zu bewirtschaften. Bis 18:00 Uhr ist es den Winzer*innen der Genossenschaft möglich, Trauben dort abzuliefern. Unsere Trauben sind nicht durch den Entrapper gelaufen, da die Genossenschaft selbst alle Trauben noch einmal entrappt.

Sollte euch also in nächster Zeit nochmal ein Vollernter in frühster Morgenstunde wecken, dann denkt euch einfach „Der frühe Vogel fängt den Wurm” und seid dankbar über die 2h die ihr mehr vom Tag mitbekommt. Und wenn sich euch die Gelegenheit bieten sollte, einen Vollernter direkt vor euch fahren zu haben, genießt doch die Real-Life-Doku, die sich gerade unmittelbar vor euren Augen abspielt. Und sowieso, am Ende sind es wir, die von der Emsigkeit der Maschine profitieren. Spätestens wenn wir den nächsten Sekt knallen lassen oder einen eleganten Wein in unseren Gläsern haben.


Im Folgenden noch ein paar Fakten wie es mit unsern geernteten Trauben weiterging.

Für Winzer*innen der Genossenschaft gibt es konkrete Vereinbarungen. Beispielsweise wird vor dem Herbst (Herbst bedeutet Zeitraum der Weinlese) ein konkreter Plan erstellt, wann welche Rebsorten geerntet werden. Zum Beispiel wird dann in einer Woche Montag ganztags Riesling gelesen, Dienstag Riesling bis Zwölf und ab Eins dann Gewürztraminer. Dabei wird darauf geachtet, welche Rebsorten schon die höchsten Oechslegrade haben oder welche noch etwas Zeit zum Reifen brauchen.

Tanja berichtet mir, dass das Eine*n manchmal schon etwas in die Bredouille bringen kann, wenn man beispielsweise von einer Rebsorte sehr viele Reben hat. Dann heißt es: „Jetzt aber dalli dalli!“. Unterwegs ist man dann schon mal gute 13 Stunden, nämlich von 05:00-18:00 Uhr.

Außerdem achtet man darauf, dass möglichst Rot und Weiß nicht unmittelbar hintereinander geerntet werden. Denn das bereitet den Winzer*innen zusätzliche Arbeit. Zwischen gleichfarbigen Rebsorten muss der Vollernter nicht unbedingt nochmal grundgereinigt werden, aber zwischen verschiedenfarbigen ist es zwingend nötig!

Jede*r Winzer*in darf im Herbst der Größe seiner Rebfläche entsprechend eine bestimme Litermenge Trauben abliefern. Je nach Oechslegrad der Beeren werden die Winzer*innen ausgezahlt. Die Auszahlung folgt in 4 Raten. Die erste kommt im August des folgenden Jahres. Das erlaubt der Winzergenossenschaft, die Aufnahme hoher Kredite in Millionenhöhe zu vermeiden.


Ein absolutes Highlight neben der Vollernterfahrt war der Blick auf unser Dorf und in die Rheinebene. Das ist meine Heimat! Nach 20 Jahren komm ich darauf noch immer nicht klar!! Es war, als würde einem die Welt zu Füßen liegen. Das ist normal, wenn man in Herxheim ist, aber auf dem Vollernter war das Gefühl noch stärker als sonst sowieso schon.

Der Herbst neigt sich dem Ende, die Tage werden kürzer, es wird merklich kühler und die Blätter färben sich besonders beim Dornfelder schon blutrot. Zeichen, die den goldenen Oktober einleiten!


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